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Wenn der Stuhl wackelt

Extremer Leistungsdruck, ständig neue Anforderungen und eine dünne Personaldecke: Wer unter diesen Bedingungen sein PR-Team leiten muss, kommt an seine Leistungsgrenzen. Schwächen, Unachtsamkeiten oder Fehler gefährden rasch den Job. Wer Warnzeichen rechtzeitig erkennt und das eigene Verhalten immer wieder reflektiert, kann sich vor diesem Risiko schützen.

Montagmorgen, am Schreibtisch vor dem PC. Ich entwerfe gerade die Agenda für das wöchentliche Teammeeting mit 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, der  Unternehmenskommunikation unserer Firma. „Herr Becker*, Sie sollen heute um 11 Uhr zum Chef!“, ruft meine Assistentin, in der Durchgangstür stehend,  „nein, das Thema kenne ich nicht, es sei aber wichtig.“

Wenig später im Büro des Vorstandsvorsitzenden. „Setzen Sie sich“, weist er mich an, zeigt auf einen der Besucherstühle und lässt sich – ein paar Blätter in der Hand – auf seinem Ledersessel nieder. Mit seiner ernsten, streng wirkenden Miene, die er auch bei kritischen Situationen in den Vorstandssitzungen aufsetzt, kommt er ohne Umschweife zur Sache: „Herr Becker, ich muss heute mit Ihnen ein grundsätzliches Gespräch führen!“ 

Aha, denke ich, endlich! Seit Wochen haben wir kaum miteinander reden können. Nie hatte der CEO Zeit, wenn ich mit ihm über die wichtigsten PR-Projekte reden wollte, war nicht erreichbar oder wer weiß wo unterwegs. Jetzt also die lang erwartete Gelegenheit für mich! Meine Anspannung steigt, und ich überlege fieberhaft, mit welchem Thema ich ihn zuerst konfrontiere.

Da ergreift er das Wort: „Ich habe mir den aktuellen Stand des Internet-Relaunches und unseres Web-2.0-Projekts zusammenstellen lassen“, beginnt der CEO. Ernst und mit bedeutungsschwer gesetzten Worten, sichtlich angespannt. Na prima, denke ich, dann sind wir ja schon mitten drin! Wahrscheinlich greift er jetzt meine drei ‚Brand-Mails’ auf, die ich ihm in den vergangenen Wochen geschickt hatte. Endlich reagiert er also auf meine Forderung, sich hier einzuschalten.

Ersehnte Gelegenheit?

Jetzt zieh' ich aber richtig vom Leder, entscheide ich, und ich nehme keine Rücksicht mehr auf die Marketing-Leute. Die haben uns in der PR in den vergangenen Meetings immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen, sind nicht auf unsere Vorschläge eingegangen. Stattdessen stellen sie noch heute die Basics in Frage und verzögern damit völlig unnötig das Projekt. Dass sie mich als Projektleiter und meine beiden Mitarbeiter im Projektteam immer wieder persönlich angegriffen haben und dass da ganz schön die Fetzen geflogen sind, spreche ich besser nicht an. Dann meint der Chef womöglich, ich sei eine Mimose, und wirft mir Führungsschwäche vor.

Doch gerade als ich ihm den Stand des Web-Relaunches aus meiner Sicht darstellen und ihm die Schuldigen und Quertreiber benennen will, schneidet mir der CEO das Wort ab. „Ich will hier nicht in Details gehen“, blockt er mit einem Blick in seine Papiere ab, „aber der gesetzte Termin wird nach dem, was ich hier vorliegen habe, definitiv nicht zu halten sein. Und Sie wissen, Herr Becker, dass dies für unser Haus in diesem Jahr das mit Abstand wichtigste Projekt aus Ihrem Bereich ist.“

Ich bemühe mich, ruhig zu bleiben, merke aber, wie in mir die Wut aufsteigt. Als ob ich das nicht wüsste...! Was habe ich in den vergangenen drei Monaten alles in Bewegung gesetzt, um den Prozess voranzutreiben. Sogar mit dem Vertriebsvorstand habe ich mich auseinandergesetzt! Ich habe ihm nachgewiesen, dass wir vom PR-Bereich mit unserem Konzept auf dem richtigen Weg sind. Und er hat auch nicht widersprochen, als ich ihn bat, seinen Marketing-Leuten klarzumachen, dass sie jetzt endlich konstruktiv mitarbeiten müssen.

Schuldfrage eindeutig zweideutig

„Keiner der letzten Meilensteine ist bisher erreicht“, schiebt der CEO nach, „und das zeigt ja wohl eindeutig, dass es in der Projektleitung nicht funktioniert!“ Obwohl es jetzt fast aus mir herausplatzt, lässt der Chef keine Unterbrechung zu: „Und wie Sie in Ihren Mails ja selbst schreiben – übrigens teilweise in einem Ton, der nicht dem Stil unseres Hauses entspricht –, gab es auch enorme Spannungen in den Projektsitzungen. Diese Situation haben übrigens auch andere Teilnehmer als unerträglich empfunden. So, Herr Becker, hatten wir im Vorstand uns das ganz und gar nicht vorgestellt. Und vor allem: Hier sind unsere Geschäftsziele gefährdet!“

Endlich bin ich dran. „Herr Dr. Falkner*! Selbstverständlich ärgere ich mich auch wahnsinnig über diesen unnötigen Streit im Projektteam. Und ich habe Ihnen mehrfach in meinen Mails klar benannt, woran und an wem das liegt. Und dass ich Sie um ein Machtwort gegenüber dem Marketing bitte. Jetzt haben wir tatsächlich eine mehrwöchige Terminverzögerung, die ich nur aufholen kann, wenn die Quertreiber zur Raison gebracht werden und wir im Projektteam dann endlich stringent weiterarbeiten können!“

Noch hundert Dinge will ich ansprechen. Die nebulösen Zielvorgaben nach der Übernahme der Firma durch den französischen Konzern vor einem Jahr beispielsweise. Es gibt noch immer keine Kommunikationsstrategie von der Holding in Paris. Dann die drastischen Etatkürzungen: Überall musste ich sparen, habe große Events gestrichen und den Geschäftsbericht drastisch vereinfacht. Und die Personaldecke ist inzwischen schon so knapp, dass wir nicht einmal die dringend benötigten neuen Produktbroschüren rechtzeitig fertig stellen können, von den zusätzlichen französischen Übersetzungen ganz zu schweigen.

So viel will ich loswerden, jetzt, wo ich endlich Gelegenheit zu einem "Grundsatzgespräch" mit dem Chef habe. Aber dazu komme ich nicht. „Herr Becker, ich möchte jetzt nicht die Projektdetails mit Ihnen besprechen. Für mich stellt sich die Situation so dar, dass Ihr Projekt nicht läuft und wir dadurch ein echtes Problem bekommen.“ Ich fühle mich wie vor den Kopf gestoßen: Ja, wenn wir jetzt wieder nicht über meine Lösungsvorschläge reden, wie soll ich es dann wieder in Gang bekommen?

Führungsversämnisse rächen sich 

Während ich mir noch meine Entgegnung überlege, schießt der Vorstandschef die nächste Salve ab. „Zu einem anderen Thema, Herr Becker, oder vielleicht ist es ja auch dasselbe: Mir liegt jetzt die Auswertung des Führungskräfte-Assessments mit der 360-Grad-Mitarbeiter-Befragung vor. Da schneiden Sie nicht gut ab.“ Das sitzt, ich bin sprachlos. Ein Stoß in den Rücken, aus dem eigenen Team. Wie kann das sein?

Dass sich die Leiterin interne Kommunikation negativ über mich äußert, um mir eins auszuwischen, habe ich ja erwartet. Nie greift sie Themen auf, die ich ihr vorschlage! Ihre Mitarbeiterin ist da viel professioneller, sie versteht sofort, was ich meine, wenn ich sie anspreche. Aber wer hat sich noch negativ geäußert? Die Redenschreiberin kann es nicht sein! Die arbeitet sehr eigenständig und oft direkt mit dem Vorstand zusammen und hat bei mir eine ganz lange Leine. Und ihre thematischen Vorschläge sind wirklich gut, da haben wir schon vieles für die aktive Pressearbeit nutzen können. Und auch mit dem Pressesprecher komme ich gut klar. Er betreut jetzt auch die Anfragen der wichtigen Magazine selbständig und hat sich gut entwickelt.

Und was ist mit den anderen Vorständen? Den Produkt-Vorstand haben wir dieses Jahr doch ganz groß herausgebracht: mehrere Interviews in den wichtigen Wirtschaftsblättern, und dazu noch der Award für nachhaltige Innovation! Auf die Erklärung, dass ich mich damit selbst in das gefährliche Spannungsfeld zwischen den Vorständen gebracht habe, komme ich nicht. Die entsprechenden Warnzeichen habe ich nicht wahrgenommen.

Während ich im Schnelldurchlauf die jüngste Zeit wie einen Film abspule, um möglichen kritischen Begegnungen und Situationen nachzuspüren und meine Gegenargumentation vorzubereiten, nimmt das Schicksal ohne mein Zutun seinen weiteren Lauf. „Herr Becker, ich bin zu dem Schluss gekommen, dass wir unsere Zusammenarbeit angesichts dieser Entwicklungen und Erkenntnisse beenden sollten. Selbstverständlich gütlich und auch so, dass wir Ihnen für Ihre Zukunft keine Steine in den Weg legen.“ Wie um diese Aussage mit dem Siegel der Endgültigkeit zu versehen, schiebt der Vorstandschef noch hinterher: „Und wir sind uns da im Vorstand einig, wir haben das in unserer letzten Sitzung so besprochen.“

„Teilnahme nicht nötig“

Einiges dämmert mir: Während ich sonst immer an den Vorstandssitzungen teilnehme, wurde ich zu der jüngsten ausgeladen. Mit der Begründung, der Vorstand treffe sich diesmal nur kurz am Rande einer Holding-Sitzung in Paris, und dafür brauche ich nicht extra anzureisen. Dort wurde also mein Schicksal besiegelt! Und auch dieses letzte Alarmsignal habe ich nicht erkannt.

Weshalb ich aber nun wirklich gehen soll, habe ich noch immer nicht verstanden. Die Gründe scheinen mir vorgeschoben, die Darstellungen meiner "Schuld" völlig einseitig, eine Gelegenheit zur Richtigstellung bekomme ich nicht. Dass ich mehrfach gegen elementare „Dont's“ einer Kommunikations-Führungskraft verstoßen habe, wird mir nicht bewusst. „Am besten, Sie machen gleich für heute einen Termin mit dem Personalleiter, er ist informiert. Er formuliert mit Ihnen eine Vereinbarung für Ihr einvernehmliches Ausscheiden.“ Meine Wut weicht ratloser Verzweiflung, meine Handflächen hinterlassen auf dem dunklen Holztisch nasse Abdrücke, und ich kämpfe mannhaft gegen meine feucht werdenden Augenwinkel. Was ist hier eigentlich abgelaufen?

Zeichen falsch gedeutet

Dieses 15-minütige Schockerlebnis, das der fiktive PR-Chef Becker hier zu verarbeiten sucht, ereignet sich ähnlich Woche für Woche in den Führungsebenen deutscher Unternehmen. Gerade im Bereich Unternehmenskommunikation wurde noch nie zuvor so oft und so leicht gekündigt, oder feiner ausgedrückt, eine Vertragsaufhebung vereinbart. Dabei trifft es häufig Führungskräfte, die sich selbst keiner markanten Fehler bei der Ausübung ihrer schwierigen Arbeit bewusst sind. Täglich lösen sie komplexe Probleme, entwickeln Konzepte, führen schwierige interne und externe Gespräche und überzeugen Journalisten und Meinungsbildner. Warnsignale hingegen, die auf eigene Fehler oder drohende Probleme hinweisen, nehmen sie nicht wahr oder deuten sie falsch. Doch selbst wer sich mit hoher Motivation seiner PR-Führungsaufgabe widmet, ständig erreichbar ist und permanent für das Image seines Arbeitgebers kämpft, ist nicht vor einer Kündigung sicher.

Die Ursachen können vielfältig sein, und manchmal sind sie unausweichlich. Wenn zwei Firmen fusionieren, ist eben ein PR-Chef zu viel. Und wenn der neue CEO seinen alten Kommunikationsleiter in die Firma mitbringt, bleibt dem Amtsinhaber nur die Hoffnung auf einen Abschied in Würde. Doch oft, wenn nicht meist, ist die vorzeitige Ablösung der oder des Kommunikationsverantwortlichen nicht unvermeidliches Schicksal, sondern Ergebnis einer unguten Entwicklung, für die es frühzeitig Warnzeichen und meist probate Gegenmaßnahmen gibt. Die Warnzeichen zu erkennen, richtig zu deuten und kluge Schlüsse daraus zu ziehen, könnte in vielen Fällen den Job retten, und würde gleichzeitig die eigene Arbeit erfolgreicher und effektiver werden lassen.

Früh gegensteuern

Der soeben gefeuerte PR-Chef Becker hätte im Internet-Projekt vielleicht nicht nur seine Ziele festlegen, sondern auch eine Taktik für die Projektsitzungen erarbeiten sollen. Unter welchen Zwängen stehen die Marketing-Kollegen, welche Einwände sind zu erwarten? Zusammen mit seinen beiden Mitarbeitern des PR-Bereichs hätte er vor jeder Sitzung eine Verhandlungsstrategie für die kontroversen Punkte erarbeiten können. Wie unterstützen wir gegenseitig unsere Argumentation? Können wir einzelne Kritiker zu Unterstützern machen? Wie können wir eine Eskalation zu strittigen Punkten verhindern und mit welchen Commitments wollen wir aus dem Meeting gehen?

Das Gespräch mit dem Marketing-Vorgesetzten, hier dem Vertriebsvorstand, kann sinnvoll sein, wenn es sensibel und taktisch geschickt geführt wird. Es wird jedoch zum Rohrkrepierer, wenn PR-Chef Becker dabei die Mitarbeiter dieses Vorstands kritisiert. Und vor allem: Vorstände stehen untereinander in einem sensiblen Spannungsverhältnis, mit hohen Voltzahlen und großer Gefahr für alle, die sich dazwischen bewegen! Goutiert es der CFO tatsächlich, dass der Produkt-Vorstandskollege sich zum "Führungsthema" Nachhaltigkeit bei den Medien profiliert, während er selbst einen "abgespeckten" Geschäftsbericht vor der Wirtschaftspresse präsentieren muss? In den meisten Konstellationen ist solch ein Vorgehen ein klares "Don‘t", beim Verstoß hiergegen droht der sofortige Vertrauensentzug.

Auf Feinheiten achten

Der Vertrauensverlust durch den Vorstand erfolgt jedoch meist in kleinen Schritten. Auf einmal bekommt man keine Termine mehr mit dem CEO, notwendige Entscheidungen werden immer mehr verzögert, eigene Vorschläge nicht mehr bearbeitet, positives Feedback findet nicht mehr statt und selbst Kritik wird kaum noch geäußert. Von wichtigen Auftritten des CEO erfährt der Kommunikationschef erst in letzter Minute oder zufällig durch Kollegen. Die Ausladung von der Vorstandssitzung oder anderen, strategisch wichtigen Meetings signalisieren bereits die Endphase des Vertrauensverlustes.

Ebenso hohe Sensibilität ist im Umgang mit Mitarbeitern gefragt. Wer schlecht oder gar nicht führt oder die Reaktionen seiner Kollegen falsch interpretiert, riskiert seine Stellung als respektierter Vorgesetzter. Mit welcher Note soll denn die Teamleiterin ihren Chef beim 360-Grad-Feedback bewerten, wenn der sie übergeht, um direkt mit ihrer Mitarbeiterin Projekte zu besprechen? Wird der Pressesprecher sich beschweren, wenn er von der Redenschreiberin ständig die  Themen vorgegeben bekommt, mit dem Hinweis, das sei mit dem PR-Chef so abgesprochen? Oder wird er stattdessen bei nächster Gelegenheit einfach seinen Unmut an anderer Stelle kundtun? Zum Beispiel beim Vertriebsvorstand, wenn er mit diesem irgendein Abstimmungsgespräch führt?

Die Unternehmenskommunikation ist heute als Managementaufgabe anerkannt, auf den Verantwortlichen lastet extremer Leistungs- und Erfolgsdruck. Hoch komplex und anspruchsvoll ist allein schon das Handling all der PR-Tools, die im Studium, in der Weiterbildung oder in der alltäglichen Praxis erlernt wurden. Dazu kommt der oft schwierige Umgang mit Journalisten und Meinungsbildnern.

Rechtzeitige Selbstreflexion öffnet die Augen

Die ehrliche Selbstreflexion des eigenen Verhaltens und der Führung des Teams kommt da meist viel zu kurz. Darin, aber auch im Nachdenken über den klugen Umgang mit Selbstzweifeln und Fehlern, steckt jedoch enormes Potenzial. Der persönliche Entwicklungsprozess, den der Volksmund mit „aus Fehlern wird man klug“ umschreibt, setzt Selbstreflexion voraus. Methodisch geführte Selbstreflexion macht der PR-Führungskraft Entwicklungen im Arbeitsumfeld transparent, erzeugt Einsichten und kann Verhaltensänderungen bewirken. Ein externer Sparringspartner kann so Katalysator für die Erweiterung der eigenen Management-Fähigkeiten und Führungskompetenzen sein.

Den denkbar schlechtesten Anstoß zur Selbstreflexion liefert Ihnen jedenfalls der CEO im Kündigungsgespräch...  

* Namen fiktiv